VogelnestOrgel Kopie

Kennt jemand aus dem Straubinger Land Johann Nikolaus David Heinssen? Vermutlich eher wenig Menschen, wurde er doch in 1797 im norddeutschen Altona geboren, verstarb aber immerhin im Jahre 1849 in Regensburg. Bekannt ist der deutsche Orgelbauer im Regensburger Raum durch seine 29 in den Jahren von 1832 bis 1846 geschaffenen Orgelwerke, von Allersdorf bei Schierling bis Wolkering in der Gemeinde Thalmassing, darunter die erste - nicht erhaltene - Orgel hinter dem Silberaltar im Regensburger Dom! Auch die Orgel aus dem 1836 in Maria Himmelfahrt in Obergraßlfing, Gemeinde Laberweinting, wurde in Heinssens Werkstatt gefertigt, ist in wesentlichen Teilen aus der Erbauungszeit erhalten, wurde zuletzt 1986 von der Orgelbaufirma Jann aus Allkofen restauriert. Franz Schnieringer, der Initiator des Orgelzyklus 2021 auf historischen Instrumenten des Straubinger Landes, vermag lebendig davon zu erzählen, welche Ideen Heinssen aus seiner norddeutschen Orgelbautradition in seine Wahlheimat Regensburg mitgebracht hat.

Auf der Webseite des Werkverzeichnisses der Heinssenschen Orgeln kann man lesen:

1836 - Obergraßlfing - "Wallfahrtskirche Pauli Bekehrung" - I/P 8 - erhalten // 193? Michael Weise, 1978 RS Kloss, 1989 RS Jann

Das Patrozinium "Pauli Bekehrung' ist ein offensichtlicher Schreibfehler, die Kirche feiert ihr Patrozinium am 15. August, dem großen Frauentag!

Dass es sich um ein beinahe 200 Jahre altes Werk handelt wird ein wenig schon am Spieltisch erahnbar:

ObergraßlfingOrgel

Anl. eines Recherche-Besuches in Obergraßlfing wurde dem Verfasser dieses Beitrages ein Gutachten des Domorganisten Eberhard Kraus aus dem Jahre 1973 für die Restaurierung durch die Fa. Hermann Klose vorgelegt. Daraus kann man die Dispostion der Orgel ablesen, den weitgehend originalen Zustand erahnen und insbesonders den vom Orgelsachverständigen attestierten 'auffallend schönen Klang" bestätigt finden.

OrgelgutachtenEK1974 Kopie

Nun sollte aber der Orgelzyklus 2021 des Franz Schnieringer auch dazu genutzt werden, dem Orgelbau-Laien des Wunderwerk einer Pfeifenorgel nahe zu bringen:

  1. Wie entsteht ein Orgelton?
  2. Wie kommt Luft aus dem Windladen per Tastedruck an die Pfeife, aber noch nicht in die Pfeife?
  3. Wie wird ein oder wie werden mehrere Register für den Luftstrom frei geschaltet?
  4. Wie werden Manuale - oder wie im Falle Obergraßlfing Manual ins Pedal - gekoppelt?
  5. aus der Restaurierung der Orgel durch die Fa. Jann, Allkofen - Würdigung der Heinssen-Orgeln
  6. Schließlich wird über eine Verlinkung die neue Orgel von St. Jakob in Straubing vorgestellt.

 zu a.:
Der Ton einer Pfeifenorgeln entsteht ja wie bei einer ganz normalen Flöte: Ein Luftstrom gerät in Schwingung und diese wird am Ohr durch Druckschwankungen wahrnehmbar, meist aber nicht nur eine einzelne Frequenz, zB der Kammerton a = 440 Hz, sondern eine ganze Reihe von sog. Obertönen, etwa Oktave, Quint, Quart, Terz, je nach Pfeiffenart. Im Wesentlichen bestimmt die Länge einer Pfeife die Höhe des Tones, besser seine Grundfrequenz. Da 1 Fuß = 1' = 30 cm lang ist, misst die tiefste 32' - Pfeife ca 9,6 m, die entsprechende 16' - Pfeife 4,8 m, und höchst klingende 1'-Pfeife nur 7,5 cm. Die Klangfarbe einer Orgelpfeife aber wird durch ihre Bauform bestimmt:

orgel pfeifenformen

Bild-Quelle: Die Orgelseite

In Obergraßlfing sind verbaut: -Copel 8' -Allemande 8´ -Salicional 8´ -Principal 4´ -Flöte 4´ -Octav 2´  -Mixtur 1 1/3', 1' - Subbaß 16' (Prinzipal)

zu b:

mechTrakturDie sogenannte 'Traktur' ist der mechanische Teil dieses Vorgangs, welcher den Strom der Luft aus der Windlade in die Pfeife freigibt:
Bild-Quelle: Die Orgel-Seite

 

 


zu c:

orgel schleifladeErst aber die Wahl eines Registers macht den Luftstrom aus dem Balg zu auswählten Pfeifen frei. Der Ton erklingt dann, wenn eine Taste gedrückt wird und zB der Schleifladen eines Registers oder mehrerer Register 'gezogen' ist:
In der Realität ist der 'Schleifladen' so lang, dass er alle Bohrungen für die gesamte Klaviatur aufnehmen kann, in Obergraßlfing also für 4 Oktaven 4 * 12 + 1= 49 Bohrungen.

Bildquelle: Die Orgelseite

zu d: Das "Koppeln" von Manualen erhöht die klanglichen Möglichkeiten einer Orgel wesentlich. Zwar gibt es praktisch immer 'feste' Koppeln, zum Beispiel bei Mixturen: 4-fach (2 2/3' + 2' + 1 1/3' + 1', also Quinten und Oktaven). In vereinfachter Darstellung sieht das 'freie Koppeln' so aus:

Koppelaus Man1 1Koppelein Man1 1
Bild-Quelle: Konrad Zwicky - zwicky.net

'Unter dem Link kann man die Koppel sogar setzen und lösen!

 zu e: aus den Angeboten der Fa Jann zur Restaurierung der Orgel in Obergraßlfing:
1987: Angebot über Reinigung der ganzen Orgel - Reinigung aller Pfeiffen, innen und außen - Instansetztung der Stimmvorrichtungen (ausbeulen, nachlöten, Dichtigkeitsprüfung, Schrauben nachziehen) - Windkanäle und Windladen auf Dichtigkeit prüfen und nachdichten - Spielteraktur überprüfen, schadhafte Teile erneuern - Holzteile vor Wurmbefall schützen - Pfeifen einbauen, intonieren und rein stimmen
1988: im Angebot werden die Maßnahmen der Fa Kloss aus dem Jahr 1978 als sehr problematisch dargestellt und ein Rückbau vorgeschlagen

1989: Arbeiten lt Angebot 1987 und 1988, Einbau eines Froschmaulbalges - der Ersatz der 'fremden' Metallpfeifen wurde vorgenommen

aus einer Würdigung des Johann Nikolaus David Heinssen, freundlicherweise überlassen von Thomas Jann:

"Die Orgel der Filialkirche St. Clemens in Birnbach ist ein gediegenes Werk des Regensburger Orgelbauers Johann Nikolaus David Heinßen. Sein Werkverzeichnis umfaßt vor allem Orgeln in dieser Größe und zeigt, welchen Einbruch die Säkularisation im Orgelbau bewirkt hat. Sie ist auch ein Beispiel für die Praxis vor allem des 19. Jahrhunderts, gebrauchte Orgeln in ärmere Filialkirchen umzusetzen, wenn in den begüterteren Pfarr- und Filialkirchen neue Instrumente gebaut wurden. Das hat sicher manches Instrument davor bewahrt, verheizt zu werden und seinen Bestand bis heute gesichert. Heinßen hat von der inneren Anlage her eine Barockorgel gebaut, mit einem anderen Prospekt könnte man die Orgel von einer aus der Zeit vor 1800 nicht unterscheiden. Einziges Merkmal für das frühe 19. Jahrhundert ist der Umfang der Claviatur, der im Baß mit der tiefen Octav beginnt, aber im Discant schon bis zum f” ansteigt. Ein typisches Merkmal für die Zeit vor 1850. Klanglich ist die Orgel ebenfalls noch ganz der Barockzeit verhaftet, sowohl was Disposition, als auch Intonation angeht, lediglich die ,,Mixtur" erfährt eine recht eigenwillige Interpretation. Nach der Restaurierung - der Orgel der Filialkirche St. Clemens in Birnbach (!) - zeigt sich das Werk optisch und akustisch in alter Pracht. Man möchte ihm die Wertschätzung wünschen, die es verdient, auch wegen des hohen Anteils an Originalbestand."


zu f: Link zu einem Erklärvideo der neuen Eule-Orgel in St. Jakob in Straubing

Schlussbemerkung:

Bisweilen stellt sich die Frage: Wer verdient wohl die größere Bewunderung? Der Orgelbaumeister, welcher sich so ein Werk ausdenkt und erbaut, der Komponist, welcher sich für die großen wie kleinen "Königinnen" Musikwerke ausdenkt und sie zu Papier bringt, oder der Interpret, welcher diese Werke für die jeweiligen Instrumente einrichtet und zur Freude der Zuhören zum klingen bringt?
Dieser Beitrag ist als Reverenz an die Orgelbauer vergangener Jahrhunderte - hier also Johann Nikolaus David Heinssen - gedacht, aber auch an die Orgelbaumeister unserer Zeit, die die ganz großen Werke in den ganz großen, bedeutenden Kirchen und Konzerthäusern erbauen.