pythagoreisches Tonsystem
Etwa im fünften vorchristlichen Jahrhundert soll Pythagoras in einer Schmiede nach einer antiken Legende entdeckt haben, dass gleichzeitige Hammerschläge wohlklingende Töne erzeugten, wenn die Gewichte der Hämmer in den ganzzahligen Verhältnissen 12:9:8:6 oder - gekürzt und paarweise geordnet - 12:6 = 2:1 (Oktav), 9:6 = 3:2 (Quint) und 12:9 = 4:3 (Quart) stehen.
Ohne Terz - und eigentlich auch ohne Quart, weil c'' ja nur als Wiederholung des Grundtons C gehört wird - hört man hier im Wesentlichen nur die Oktav und die Quint, also einen 'leeren' - tonartlosen - Klang!
Nach Pythagoras klingen also etwa C=132 Hz zusammen mit c'=264 Hz und mit g‘=396 Hz und dazu c''=528 Hz ‚wohl‘, konsonant, also Töne, deren Schwingungen pro Sekunde zum jeweiligen Grundton im Verhältnis 2:1 und 3:2 stehen. Das Verhältnis 3:2 steht für die Quint, hier also 396/264 = 1,5 = 3/2.
Die Umkehrung der Quint, also die „reine“ Quarte wird einerseits in der Bedeutung „weder vermindert noch übermäßig“ gebraucht, andererseits auch für das Frequenzverhältnis von genau 4:3, wie es zur reinen Stimmung gehört.
Sehr gut kann man dieses auf einem Monochord, wie es im deutscchen Museum in München steht, ausprobieren:
Foto: pk (dt. Museum)
So kann man die Lage der Bünde konstruieren, zB den der Quinte mit c/g = 3/2:
Quint-Oktav-Klänge waren besonders in der Musik des Mittelalters sowie der Renaissance allgegenwärtig, da die im Akkord enthaltenen Intervalle als besonders rein und konsonant galten. Das damals häufige Aufkommen hat aber sicherlich auch damit zu tun, dass Prime, Oktave, Quinte und Quarte die ersten vier Intervalle der Obertonreihe sind. Und diese Töne bestimmen ganz wesentlich die Klangeindruck eines Tones, zB eines Orgeltones.
vom Quintenzirkel zur Quintensäule
Schichtet man viele Quinten übereinander, erreicht man nach 12 Quinten bzw. 7 Oktaven ungefähr wieder den Ausgangston. Ungefähr, weil ((f1*3/2)*3/2)*…* 3/2 = f1*(3/2)^12 =f1*129,746… nicht exakt gleich für 7 Oktaven ((f1*2)*2)*…. = f1*2^7 = f1*128 ist!. Diese Differenz nennt man das pythagoreische Komma.
Nun kann man zwar aus den übereinander geschichteten Quinten und dem reinen Terzintervall (5/4) jeden Ton generieren, etwa das f‘ = Oktav – Quint, oder die pythagoreische große Terz (= 4 reine Quinten − 2 Oktaven), aber schon da wird sichtbar, das uU die Darstellung von Intervallen in Summen – statt Produkten – und Differenzen – anstelle von Quotienten - Vorteile hätte. Allerdings braucht es hierzu ein logarithmisches Rechnen.
Das Cent-Maß
Das Ergebnis dieser logarithmischen Formel ist das Cent als Maß für zB die Oktave, nämlich 1200 Cent!
Damit gelingt es nun, ein Tasten- oder Bündeinstrument so zu stimmen, dass jede Tonart gleich gut – wenn auch ein wenig verstimmt – klingt, dafür aber Modulationen möglich werden.
Verschiedene Stimmungen - gleichstufig und rein - lassen sich nun so darstellen:
----------------------------------------------------------> Beachte: g/c = 392 / 261,6 = 1,498.. ≠ 3/2 !
----------------------------------------------------------> Beachte: g/c = 396 / 264 = 1,5 = 3/2 ! Verstimmung 'rein' zu 'gleichstufig' in Cent: 396 - 392 = 4
Die „gleichschwebende Temperatur“ der heute dominierenden gleichstufigen Stimmung löst das Problem durch eine Abwandlung der pythagoreischen Stimmung, indem sie das pythagoreische Komma gleichmäßig auf alle zwölf Quinten des Quintenzirkels verteilt; dadurch sind die Quinten nur um 1/12 Komma verstimmt. Diese näherungsweise Reinheit der Quinten wird erkauft durch eine sehr starke Verstimmung der Terzen um ca. 2/3 Komma. Nach Hugo Riemann „verträgt“ jedoch „die Terz eine stärkere Verstimmung als die Quinte“, so dass sich die gleichstufige Stimmung als praxistauglich durchsetzen konnte.
Frühere temperierte Stimmungssysteme, wie die lange Zeit verwendete mitteltönige Stimmung und die später entwickelten wohltemperierten Stimmungen, werden heute gelegentlich im Rahmen der historischen Aufführungspraxis wiederbelebt.
Stimmpraxis
Reine Quinten, Oktaven und Terzen konnte man ohne Weiteres einstimmen. Die Quinten in der mitteltönigen Stimmung mussten jedoch um 1/4 Komma enger gelegt werden. Dafür gab es Anweisungen für die Beobachtung von Schwebungen. Dabei war zu beachten, dass die Anzahl der Schwebungen pro Zeiteinheit umso größer ist, je höher die Quinten liegen. Nach dem Temperieren von vier etwas engeren Quinten konnte man die Stimmung durch eine reine Terz überprüfen. Die weiteren Töne ließen sich durch reine Terzen leicht stimmen. Hatte man beispielsweise C-G, G-D, D-A und A-E temperiert, konnten die weiteren Töne durch reine Terzen erzielt werden: D-Fis, Es-G, E-Gis, F-A, G-H, A-Cis und B-D. Waren alle zwölf Töne innerhalb einer Oktave gestimmt, vervollständigte man das gesamte Tonspektrum des Instruments durch reine Oktaven. Die alten Orgelbauer haben ihre Instrumente ohne Stimmgerät gestimmt. Als physikalische Geräte standen ihnen nur das Monochord, die Stimmpfeife und das Pendel sowie ihr eigener Pulsschlag zur Verfügung.
Ein unmittelbares Hören der jeweiligen verstimmten Töne ist i. d. R. nicht möglich. Dagegen kann man sehr wohl die Schwebungen hören:
In der Musikhochschule in Tübingen steht eine Orgel, welche trickreich in verschiedene Stimmungen umgeschaltet werden kann:
Interessant in diesenm Zusammenhang ist das Programm justintonation des Haye Hinrichsen von der University of Würzburg mit seinem Team Karolin Stange und Christoph Wick. Diese Software ist in der Lage, mit Hilfe eines adaptiv-dynamischen Stimmverfahrens reine Klänge in jeder Tonart zu erzeugen. Die App analysiert den gespielten Akkord, berechnet die optimalen Frequenzen und stimmt den eingebauten Sampler bzw. das angeschlossene MIDI-Gerät in Echtzeit. Leider ist die Software aktuell -10/2023 - nicht aufrufbar.
Sehr gut erklärt Wikipedia die Problematik verschiedener Stimmungen: Link.
Musikbeispiele
Hier ein jurzer Ausschnitt aus der "Pavan dan Vers" eines Anonymus, gespielt von Arnaud De Pasquale auf der weitgehend historisch erhaltenen Orgel aus dem Jahre 1547 in der Chiesa di San Francesco d’Assisi, Castelbuono.
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Quellenhinweis: Dieser Beitrag erhebt in keiner Weise wissenschaftliche Ansprüche, etwa bzgl. einer exakten Quellenangabe. Bisweilen ist auf die jeweilige Web-Adresse direkt verlinkt, i. d. R. aber stammen die Informationen aus einschlägigen Webseiten in Wikipedia. Den jeweiligen Autoren sei für ihre sorgfältige Rechereche und höchst informative Darstellung ausdrücklich gedankt.
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Im historischen Orgelzyklus des Franz Schnieringer im Jahr 2021 wurde u. a. auch die Barockorgel in St. Edigna in Hofdorf bei Hungerdorf vorgestellt. Damals an der Orgel Steefan Seyfried. Fotos: pk
Hier sollte die Wahl fallen auf
Die Heinssen-Orgel in Ober-Graßlfing
Kennt jemand aus dem Straubinger Land Johann Nikolaus David Heinssen? Vermutlich eher wenig Menschen, wurde er doch in 1797 im norddeutschen Altona geboren, verstarb aber immerhin im Jahre 1849 in Regensburg. Bekannt ist der deutsche Orgelbauer im Regensburger Raum durch seine 29 in den Jahren von 1832 bis 1846 geschaffenen Orgelwerke, von Allersdorf bei Schierling bis Wolkering in der Gemeinde Thalmassing, darunter die erste - nicht erhaltene - Orgel hinter dem Silberaltar im Regensburger Dom! Auch die Orgel aus dem 1836 in Maria Himmelfahrt in Obergraßlfing, Gemeinde Laberweinting, wurde in Heinssens Werkstatt gefertigt, ist in wesentlichen Teilen aus der Erbauungszeit erhalten, wurde zuletzt 1986 von der Orgelbaufirma Jann aus Allkofen restauriert. Franz Schnieringer, der Initiator des Orgelzyklus 2021 auf historischen Instrumenten des Straubinger Landes, vermag lebendig davon zu erzählen, welche Ideen Heinssen aus seiner norddeutschen Orgelbautradition in seine Wahlheimat Regensburg mitgebracht hat.
Auf der Webseite des Werkverzeichnisses der Heinssenschen Orgeln kann man lesen:
1836 - Obergraßlfing - "Wallfahrtskirche Pauli Bekehrung" - I/P 8 - erhalten // 193? Michael Weise, 1978 RS Kloss, 1989 RS Jann
Das Patrozinium "Pauli Bekehrung' ist ein offensichtlicher Schreibfehler, die Kirche feiert ihr Patrozinium am 15. August, dem großen Frauentag!
Dass es sich um ein beinahe 200 Jahre altes Werk handelt wird ein wenig schon am Spieltisch erahnbar. Man hört sogar das Ziehen der Register bei einem Ausschnitt aus dem Grünbergerschen Echostück, gespielt beim Konzert am 15. 8. 2021 von Franz Schnieringer:
Anl. eines Recherche-Besuches in Obergraßlfing wurde dem Verfasser dieses Beitrages ein Gutachten des Domorganisten Eberhard Kraus aus dem Jahre 1973 für die Restaurierung durch die Fa. Hermann Klose vorgelegt. Daraus kann man die Dispostion der Orgel ablesen, den weitgehend originalen Zustand erahnen und insbesonders den vom Orgelsachverständigen attestierten 'auffallend schönen Klang" bestätigt finden.
Fotos und Grafiken: pk
Nun sollte aber der Orgelzyklus 2021 des Franz Schnieringer auch dazu genutzt werden, dem Orgelbau-Laien des Wunderwerk einer Pfeifenorgel nahe zu bringen:
- Wie entsteht ein Orgelton?
- Wie kommt Luft aus dem Windladen per Tastedruck an die Pfeife, aber noch nicht in die Pfeife?
- Wie wird ein oder wie werden mehrere Register für den Luftstrom frei geschaltet?
- Wie werden Manuale - oder wie im Falle Obergraßlfing Manual ins Pedal - gekoppelt?
- aus der Restaurierung der Orgel durch die Fa. Jann, Allkofen - Würdigung der Heinssen-Orgeln
zu a.:
Der Ton einer Pfeifenorgeln entsteht ja wie bei einer ganz normalen Flöte: Ein Luftstrom gerät in Schwingung und diese wird am Ohr durch Druckschwankungen wahrnehmbar, meist aber nicht nur eine einzelne Frequenz, zB der Kammerton a = 440 Hz, sondern eine ganze Reihe von sog. Obertönen, etwa Oktave, Quint, Quart, Terz, je nach Pfeiffenart. Im Wesentlichen bestimmt die Länge einer Pfeife die Höhe des Tones, besser seine Grundfrequenz. Da 1 Fuß = 1' = 30 cm lang ist, misst die tiefste 32' - Pfeife ca 9,6 m, die entsprechende 16' - Pfeife 4,8 m, und höchst klingende 1'-Pfeife nur 7,5 cm. Die Klangfarbe einer Orgelpfeife aber wird durch ihre Bauform bestimmt:
Bild-Quelle: Die Orgelseite
In Obergraßlfing sind verbaut: -Copel 8' -Allemande 8´ -Salicional 8´ -Principal 4´ -Flöte 4´ -Octav 2´ -Mixtur 1 1/3', 1' - Subbaß 16' (Prinzipal)
zu b:
Die sogenannte 'Traktur' ist der mechanische Teil dieses Vorgangs, welcher den Strom der Luft aus der Windlade in die Pfeife freigibt:
Bild-Quelle: Die Orgel-Seite
zu c:
Erst aber die Wahl eines Registers macht den Luftstrom aus dem Balg zu auswählten Pfeifen frei. Der Ton erklingt dann, wenn eine Taste gedrückt wird und zB der Schleifladen eines Registers oder mehrerer Register 'gezogen' ist:
In der Realität ist der 'Schleifladen' so lang, dass er alle Bohrungen für die gesamte Klaviatur aufnehmen kann, in Obergraßlfing also für 4 Oktaven 4 * 12 + 1= 49 Bohrungen.
Bildquelle: Die Orgelseite
zu d: Das "Koppeln" von Manualen erhöht die klanglichen Möglichkeiten einer Orgel wesentlich. Zwar gibt es praktisch immer 'feste' Koppeln, zum Beispiel bei Mixturen: 4-fach (2 2/3' + 2' + 1 1/3' + 1', also Quinten und Oktaven). In vereinfachter Darstellung sieht das 'freie Koppeln' so aus:
Bild-Quelle: Konrad Zwicky - https://zwicky.net
zu e: aus den Angeboten der Fa Jann zur Restaurierung der Orgel in Obergraßlfing:
1987: Angebot über Reinigung der ganzen Orgel - Reinigung aller Pfeiffen, innen und außen - Instansetztung der Stimmvorrichtungen (ausbeulen, nachlöten, Dichtigkeitsprüfung, Schrauben nachziehen) - Windkanäle und Windladen auf Dichtigkeit prüfen und nachdichten - Spielteraktur überprüfen, schadhafte Teile erneuern - Holzteile vor Wurmbefall schützen - Pfeifen einbauen, intonieren und rein stimmen
1988: im Angebot werden die Maßnahmen der Fa Kloss aus dem Jahr 1978 als sehr problematisch dargestellt und ein Rückbau vorgeschlagen
1989: Arbeiten lt Angebot 1987 und 1988, Einbau eines Froschmaulbalges - der Ersatz der 'fremden' Metallpfeifen wurde vorgenommen
aus einer Würdigung des Johann Nikolaus David Heinssen, freundlicherweise überlassen von Thomas Jann:
"Die Orgel der Filialkirche St. Clemens in Birnbach ist ein gediegenes Werk des Regensburger Orgelbauers Johann Nikolaus David Heinßen. Sein Werkverzeichnis umfaßt vor allem Orgeln in dieser Größe und zeigt, welchen Einbruch die Säkularisation im Orgelbau bewirkt hat. Sie ist auch ein Beispiel für die Praxis vor allem des 19. Jahrhunderts, gebrauchte Orgeln in ärmere Filialkirchen umzusetzen, wenn in den begüterteren Pfarr- und Filialkirchen neue Instrumente gebaut wurden. Das hat sicher manches Instrument davor bewahrt, verheizt zu werden und seinen Bestand bis heute gesichert. Heinßen hat von der inneren Anlage her eine Barockorgel gebaut, mit einem anderen Prospekt könnte man die Orgel von einer aus der Zeit vor 1800 nicht unterscheiden. Einziges Merkmal für das frühe 19. Jahrhundert ist der Umfang der Claviatur, der im Baß mit der tiefen Octav beginnt, aber im Discant schon bis zum f” ansteigt. Ein typisches Merkmal für die Zeit vor 1850. Klanglich ist die Orgel ebenfalls noch ganz der Barockzeit verhaftet, sowohl was Disposition, als auch Intonation angeht, lediglich die ,,Mixtur" erfährt eine recht eigenwillige Interpretation. Nach der Restaurierung - der Orgel der Filialkirche St. Clemens in Birnbach (!) - zeigt sich das Werk optisch und akustisch in alter Pracht. Man möchte ihm die Wertschätzung wünschen, die es verdient, auch wegen des hohen Anteils an Originalbestand."